Beschwerde des Vereins Waldheil e. V. vom 3. Mai 1910
Beschwerde des Vereins Waldheil e. V. vom 3. Mai 1910 gegen den Beschluss des Kreisausschusses des Saalkreises vom 2. Mai 1910(Abschrift vom 28. Mai 1910)
A b s c h r i f t,
Halle a/S., den 28. Mai 1910
An den Kreisausschuß Halle a/S.
In der Ansiedlungssache des Telegraphensekretärs F r a n z B r a u n
rechtfertige ich die gegen den Beschluß des Kreisausschusses vom 3.5.10 eingelegte Beschwerde wie folgt:
I. Ich schicke eine allgemeine Bemerkung voraus:
1. Die Ansprüche der politischen Gemeinde stehen offensichtlich außer allem Verhältnis zu den sonst in der Gemeindeverwaltung üblichen Summen. Sie erwecken den Eindruck, als sollte dem wirklichen Bedarfe vorgeschlagen werden, oder als sollte der Verein Waldheil als willkommene Person gelten, um sonst nötige Gemeindeaufgaben auf ihn abzuwälzen.
Die Gemeinde verkennt aber die Sachlage ganz und gar. Der Verein Waldheil bezweckt durch Verteilung von Gelände seinen Mitgliedern Gelegenheit zur Anlage von Gärten und Lauben, Sommerhäusern oder Einfamilienhäusern und dadurch Gelegenheit zur Erholung in gesunder freier Luft zu bieten. Dadurch wird erreicht, daß das Geld, das sonst in den Ferien im Gebirge, in Sommerfrische u. s. w. ausgegeben wurde,
der engeren Heimat erhalten bleibt. Die Mitglieder des Vereins Waldheil holen kein Geld aus Lieskau heraus,
sondern bringen ihr Geld in Lieskau unter die Leute. Dies können schon die Landwirte, die Gastwirte, die Handwerker (Schmied, Bäcker und Fleischer) und die Handarbeiter bestätigen. Von den 35 Anteilen sind bis jetzt 22 verkauft. Von den 22 Käufern wollen nur 3 Wohnhäuser, 3 Sommerhäuser und 16 Lauben bauen, wie auf beiliegendem Plane ersichtlich ist.
2. Selbst wenn die Besitzer der 35 Anteile der Kolonie Waldheil alle bauen wollten, was wie gesagt gar nicht der Fall ist, so wäre es doch ganz ungerechtfertigt und durchaus nicht angängig diesen 35 die gesamte von der Gemeinde Lieskau oder dem Kreisausschuß berechnete Summe allein aufzubürden. Es ist mit Bestimmtheit anzunehmen, daß im Laufe der nächsten Jahre neue Ansiedlungen zwischen dem Waldheilgelände und dem Dorfe Lieskau entstehen und wäre ganz ungerecht, wenn diese nicht auch herangezogen würdenFür
die Parzellierung eines Ackerplanes von 16 Morgen hat der Besitzer bereits Vollmacht erteilt. Es sind aber außerem zur Zeit noch ca. 25 Morgen Gelände verkäuflich. Es geht nicht an, daß die jetzigen 35 Anteilbesitzer die Sicherheit z. B. für Straßenausbau, Gemeindearbeiten, Bewachung, Wasserleitung für die neuen Leute, die sich in den nächsten Jahren wohl noch ansiedeln werden, mitleisten sollen; die neuen Ansiedler würden ja ganz frei bleiben müssen!
3. Ungerecht wäre es auch deshalb, den 35 Anteilbesitzern vom Waldheil die Kosten für die Vergrößerung der Gemeindelasten aufhalsen zu wollen, weil am Dorfe selbst dieses Jahr fünf Arbeiterwohnhäuser neu gebaut sind und drei noch gebaut werden sollen. Die Wohnungen in diesen neuen Häusern kosten jährlich 90 – 150 Mk. Miete und sind zum Teil noch zu vermieten. Sie können nur von Arbeiterfamilien gemietet werden und diese sind meist kinderreich. Wenn also bisher schon der Friedhof, die Kirche und die Schule tatsächlich nur gerade für die vorhandene Einwohnerschaft zureichte, so müssten die Kirche, die Schule, der Friedhof u. s. w. schon wegen des durch diese Häuser zu erwartenden Zuzugs vergrößert werden. Von den Erbauern dieser Häuser hat die Gemeinde keinerlei Sicherheitsleistung oder besondere Leistung verlangt.
II. Die Auferlegung einer Sicherheit ist nur in der Form zulässig, daß genau bestimmt wird
a) für welche Lasten die Sicherheit nötigenfalls dienen soll
b) unter welchen Voraussetzungen sie angegriffen werden darf.
Es würde unzulässig sein, die Sicherheit für solche Gemeindelasten zu fordern oder anzugreifen, die der Gemeinde nicht durch die Ansiedlung sondern durch andere Umstände, z. B. Vergrößerung innerhalb der Dorflage, erwachsen, wenn auch die Bedürfnisse der Gemeinde, für welche die Sicherheit dann angegriffen werden soll, dieselben sind, wie die, zu deren
Sicherung sie hinterlegt ist.
III. Es ist unzulässig, eine Rechnung für die ganze „Kolonie" Waldheil aufzustellen. Die meisten Mitglieder des Vereins Waldheil haben gar nicht die Absicht, sich auf ihrem Grund und Boden anzusiedeln. Die allermeisten wollen nur Lauben und Gartenhäuser errichten, soweit sie nicht überhaupt ihr Land verpachten.
IV. Auf die einzelnen Forderungen der politischen und Kirchengemeinde Lieskau ist zunächst zu entgegnen, daß sie alle darauf zugeschnitten sind, daß sich auf dem Waldheilgrundstück eine Bevölkerung ansiedelt, die Kirchen-, Schul-, Armen- und sonstige Gemeindelasten verursacht.
Dies ist durchaus nicht zu erwarten, wie beifolgenden Verzeichniß der Vereinsmitglieder, soweit sie Eigentum an dem Grundstück haben, beweist. Die Namen und Zwecke der Eigentümer sind in den Plan rot eingetragen.
Aber auch wenn man mit der Möglichkeit rechnen wollte, daß die Grunstücke und daß insbesondere das hier in Rede stehende Haus einmal von anderen Leuten, z. B. einer Arbeiterfamilie bewohnt würde, so würden die Forderungen der beiden Gemeinden ungerechtfertigt sein. Zunächst ist auf allen Waldheilgrundstücken, soweit sie im Eigentum einzelner Vereinsmitglieder stehen, eine Baubeschränkung eingetragen, wonach nur herrschaftliche Häuser im Villenstil errichtet werden dürfen.
Sodann sind sämmtliche Forderungen der Gemeinden in einer Beziehung unsubstanziiert und einfach aus den Vollen gegriffen. Eine ganze Anzahl scheidet von vornherein aus, weil die Ansprüche keine solchen sind, welche durch die Ansiedlung als solche begründet werden. An und für sich muß sich die Gemeinde jeden Zuzug von außerhalb ohne Weiteres, und ohne daß sie von dem Anziehenden etwas verlangen dürfte, gefallen lassen. Bei einer außerhalb der geschlossenen Ortschaft erfolgenden Ansiedlung dürfen logischer Weise nur solche Mehrlasten der Gemeinde in Betracht gezogen werden, welche eben durch die entfernte Lage begründet sind.
Nach diesem Gesichtspunkt scheiden folgende Forderungen der politischen Gemeinde ohne Weiteres aus:
No. 2 des Protokolls vom 19. Februar 1910: Armenlasten: Denn es muß bestritten werden, daß die entfernte Lage der Ansiedlung diese Lasten vergrößern.
No. 3: Erweiterung des Friedhofes, desgleichen.
No. 4. Schullasten ebenso.
No. 5: Mehrbelastung des Pfarrers und Küsters.
No. 6: Vergrößerung der Gemeindearbeiten.
Ferner ist zu bemerken:
zu No. 1: Schädigung der Jagd:
Diese muß durchaus bestritten werden. Es mag zunächst festgestellt werden, wie hoch sich die gesammte Jagdpacht der Gemeinde stellt. Eine Einbuße von 320 Mk. – Dies sind die Zinsen der geforderten 8000 Mk. Sicherheit, ist keinesfalls zu erwarten. Ueberhaupt aber hängt doch der Bestand an Rehwild, der ohnehin in der Dölauer Heide gering ist, nicht grade an dem Austrittsplatz der Tiere, der übrigens als solcher ebenfalls bestritten wird. Die Länge des Waldrandes im Lieskauer Flur ist etwa 300 Mt. Die Länge der Waldheilgrenze am Walde etwa 170 Mt. Dies zeigt schon allein die ganze Willkürlichkeit der Forderung der Gemeinde. Uebrigens tritt trotz des neuerdings auf dem Waldheilgrundstück sich entwickelnden Verkehrs, das Rehwild, wie der Augenschein lehrt, nach wie vor dort aus. – Wieso eine Schädigung des übrigen Wildes eintreten soll, ist schlechterdings nicht zu begreifen. Die Verringerung des freien Landes, das ja dem Wilde nötig ist, kann keinesfalls einen Schadensanspruch begründen; denn, wie gesagt, die Niederlassung an sich ist erlaubt; auch darf Jedermann sein Land mit Zäunen versehen. Störend könnte höchstens ein absichtliches Schädigen des Wildes, etwa durch Fallen, Schlinge oder dgl. sein; solches aber ist durchaus nicht zu erwarten.
zu No. 7: Nachtwächterdienste nur auf Kosten des Antragstellers – wird als berechtigt anerkannt, rechtfertigt aber keine Kaution.
zu No. 8: Wasserversorgung lehnt die Gemeinde ab. Erstens hat die Gemeinde Lieskau selber noch keine Wasserversorgung außer durch einen Brunnen. Es ist selbstverständlich, daß sie dem Antragsteller sowenig einen neuen Brunnen bauen wird, wie sie ihn anderen Neuzuziehenden, die in der Dorflage kürzlich gebaut haben, neu Brunnen schafft. Sollte die Gemeinde einmal Wasserleitung anlegen, so ist selbstverständlich, dass der Antragsteller, ebenso wie die übrigen Haus- oder Grundeigentümer Anschluß zu fordern berechtigt ist. Er verlangt aber nicht, daß ihm die Gemeinde den Strang auf der ganzen Strecke von der Dorflage bis hin zu seinem Grundstück auf ihre Kosten legt. Das Richtige und Billige ist vielmehr, daß der Antragsteller die Kosten der Leitung zwischen der Dorflage und seiner Grundstücksgrenze selber trägt, im uebrigen aber den anderen Dorfbewohnern ganz gleichgestellt wird. Einer solchen Beschränkung seiner Ansiedelung würde sich der Antragsteller gern fügen. Zu irgend einer Sicherheitsstellung ist kein Anlass.
zu No. 9: Warum die Gemeinde vom Antragsteller ein Kanalprojekt verlangt, während er doch die Ansiedlung nur für sich allein fordert und während sie selber weder Kanal und Kanalprojekte hat, ist nicht ersichtlich.
zu No. 10: Ein jederzeit offener Weg führt zum Grundstück des Antragstellers wohl. Ein weiteres Erforderniß stellt das Gesetz nicht auf. Auch keine polizeiliche Abordnung kann etwas Anderes verlangen. Insbesondere ist nicht daran zu denken, daß der Ausbau des von dem Waldheilgrundstück nach Lieskau führenden Weges angeordnet oder vom Antragsteller oder dem Verein Waldheil gefordert werden könnte. Was der Antragsteller oder der Verein etwa in Zukunft fordern könnten, wäre die Pflasterung der beiden das Vereinsgrundstück aufschließenden Straßen. Diese haben eine Gesammtfläche des Fahrdammes von 1800 gutl, würden also, da das gut Pflasterung nach einer dem Verein gemachten Offerte 4,00 Mk. kostet, einen Gesammtaufwand von 7200 Mk. verursachen. Auf jede er 35 Waldheilparzellen entfielen also etwa 200 Mk. Zur Hinterlegung dieses oder eines mäßig höheren
Betrages ist der Antragsteller bereit, sofern die bestimmungsmäßige Verwendung gesichert ist.
Allgemein mag noch bemerkt werden, daß die Gemeinde durch ihre Selbstverwaltungsbefugnisse vollkommen in der Lage ist, etwaige kostspielige Gelüste des Antragstellers oder anderer Mitglieder des Vereins Waldheil im Zaumen zu halten.
V. Betreffs der Eingabe der Kirchengemeinde bemerke ich:
1. Das Zugeständnis, daß sich die Kirchengemeinde auf ihren ablehnenden Standpunkt deshalb stellt, weil die politische Gemeinde gegen die Ansiedlung sei, nimmt der Eingabe von vornherein den Anspruch, ernst genommen zu werden. Uebrigens fordert auch die politische Gemeinde eine Sicherheit gegen Kirchenlasten, sodaß der Antragsteller, wenn beide Forderungen berücksichtigt werden, doppelt gestraft ist.
2. Die „äußerste" Befürchtung, daß der Kirchengemeinde schwere Lasten durch die Ansiedlung erwachsen werden, schwebt in der Luft; eine Substanziierung oder Begründung der Befürchtung fehlt völlig. Solche offenbar aus bloßen sachlich nicht begründeten Gefühlen entsprungene Einwände sind nicht zu beachten.
3. Die beiden Ansprüche auf Sicherheit für Erweiterung der Kirche und Erschwerung des Kirchendienstes sind unbeachtlich, weil beide Mehrlasten bei jedem Zuzug eintreten und and die Entfernung der Ansiedlung vom Dorfe nicht gebunden sind. Der Zuzug an sich kann, wie oben wiederholt betont, nicht abgelehnt werden. Wollte man aber eine Erschwerung des Kirchendienstes darin sehen, daß der Pfarrer bei kirchlichen Handlungen, die auf dem Ansiedlungsgrundstück vorzunehmen wären, einen weiteren Weg hätte als bisher, so
wäre diese Belastung bei der Seltenheit der Inanspruchnahme so verschwindend, daß sie überhaupt nicht meßbar wäre. Uebrigens ließe sich eine Entschädigung des Seelsorgers in solchem Fall wohl dadurch erzielen, daß für seine Wege nach der Ansiedlung eine besondere Gebühr festgesetzt würde. Diese könnte im vorliegenden Verfahren bestimmt werden. Einer Sicherheitsleistung dafür bedarf es aber keinesfalls, weil die Inanspruchnahme des Pfarrers stets eine freiwillige ist.
Die Ansprüche der Kirchengemeinde auf Sicherheitsleistung sind daher in vollem Umfange unbegründet.
Der Rechtsanwalt.
gez. M e y e r
Quelle:
Stadtarchiv Halle: Vereine Nr. 269: Waldheil 1909
- 1936