Erlebnisse von Karl Thate im Schacht

Die historischen Dokumente wurden dankenswerterweise von der Familie Thate mit der Erlaubnis, diese zu veröffentlichen, zur Verfügung gestellt.

 

Ein Erlebnis, das Geschichte macht.

 

Otto besuchte das 1. Jahr der Präparande (damaliger Sammelbegriff für "Höhere Lehranstalt"),

ich lernte das letzte Jahr.

Der Vater wollte einmal seinen Söhnen

eine Grube zeigen und so sollten

wir zwei Brüder einmal mit

 "einfahren". Gern gingen wir

eines Morgens 4 Uhr mit dem Vater auf 

seine Arbeit. Der Steiger Baum

führte uns überall hin und erklärte

uns alles eingehend. Im Betsaal

fing die Exkursion an. Dann ging es

nach dem Maschinenhaus, der Aufzug-

maschine, der Luftversorgungsanlage 

für den Schacht, auf den Förderturm, 

in den Förderkorb und hinab in die

Tiefe. Wir mögen wohl eine Stunde

unten im Schacht von "Ort zu Ort"

 

 

 

gegangen sein, kamen am Ort

bei Kamerad Märker, Kirchner,

Busse und vielen anderen Arbeitskameraden,

alle in saurem Schweiß gebadet.

Wir besichtigten einen Bremsberg,

untersuchten die Kohlenbahn,

die abfließenden Wasser, die

Luftzirkulation, manchmal zog

es sehr, plötzlich machte der Steiger

halt. Herr Baum sprach in ein-

dringlichen Worten zu uns folgende

Worte:

 "Seid nur einmal recht dankbar

Eurem Vater. Seit mehr als

20 Jahre fährt Euer Vater schon

herunter. Mit seltenem Fleiß,

unermüdlich arbeitet er Tag für

Tag so sauer. Hier gibt es kein

Fleckchen, wo nicht der Schweiß von

Eurem Vater liegt, und was er

 

 

 

 

 

nicht mit Schippe und Radehacke

schaffen kann, das kratzt er mit

den Händen zusammen!"

Diese Worte des Steigers setzten sich in

mein Hirn so fest, daß ich sie auf meinem

Totenbette hersagen werde. Nie kann ich

diese vergessen, sie sind mir immer wach.

Wir gingen weiter, der Weg führte

weiter vor Ort, das merkte ich

an dem Gerumpel der notdürftigen (notdürftig verlegt)

Bahn, die immer vor Ort so war.

Plötzlich tat sich ein Loch auf.

Ein Bergmann arbeitete da drin,

man sah nur Umrisse: es war

mein Vater. 

Jäh rissen meine Kinderjahre ab,

der Ernst des Lebens, der Kummer,

das Brotverdienen, der unendliche

Schweiß. "im Schweiße Deines Angesichts

sollst Du Dein Brot verdienen",

das tat sich mir auf.

meinem Bruder ging es genau so.

                                 Karl Thate.

 

 

 

 Deswegen schickte uns der Vater auf höhere Schule,

damit wir nicht so sauer wie er unser Brot

verdienen sollten! Dessen bin unserem

Vater dankbar, war immer dankbar, aber er

versteht mich nicht.

                               Karl Thate

 

Anmerkungen durch den Enkel Karl-Heinz Thate (Halle):

Der Bergmann Karl Thate - mein Großvater - hatte drei Söhne.

Der älteste (Otto) wurde Lehrer, er ist im ersten Weltkrieg als Leutnant gefallen.

Karl, der 2. Sohn, war Elektroingenieur.

Mein Vater, der jüngste Sohn (Oskar), war Architekt.